Für eine geschlechterbezogene und intersektional ausgerichtete Gesundheitsberichterstattung ist die Themenauswahl von großer Bedeutung. Sie signalisiert die Public-Health-Relevanz eines Themas. Anhand der dargestellten Gesundheitsthemen können gesundheitliche Ungleichheiten sichtbar gemacht und in den öffentlichen Diskurs eingebracht werden. Sowohl die geschlechtersensible als auch die intersektionale Berichterstattung fordern eine differenzierte Darstellung innerhalb der Geschlechtergruppen. Insbesondere bei der Berücksichtigung von kleinen gesellschaftlichen Gruppen ergeben sich dabei zwei Herausforderungen: Erstens gibt es zu kleineren Bevölkerungsgruppen kaum verlässliche statistische Daten (z. B. zu geflüchteten Frauen und Männern, inter: und trans: Personen), sodass bei der Berichterstattung über diese Gruppen Lücken bestehen bleiben. Zweitens kann sowohl das Nicht-Berichten als auch der thematische Fokus auf gesundheitliche Problemlagen einzelner Gruppen Diskriminierungen implizieren (z. B. die thematische Fokussierung auf HIV/AIDS bei der Berichterstattung zu Männern, die Sex mit Männern haben). Folgende Herausforderungen für die Themenauswahl und Empfehlungen für die Praxis der geschlechtersensiblen und intersektionalen Gesundheitsberichterstattung wurden im Projekt AdvanceGender erarbeitet.
I. Wege der geschlechtersensiblen und intersektionalen Themenauswahl
1. Literaturbasiert sollten geschlechterrelevante Gesundheitsthemen ausgewählt werden.
2. Literaturbasiert sollten geschlechterrelevante Gesundheitsthemen auf Intersektionen mit anderen Differenzkategorien (z. B. Männer mit Behinderung) hin analysiert werden.
3. Im Dialog mit zivilgesellschaftlichen Akteur:innen sollten Lücken in vorangegangenen geschlechterbezogenen Gesundheitsberichten identifiziert und adressiert werden.
4. Zivilgesellschaftliche Akteur:innen können die Themenauswahl unterstützen, da sie geschlechtlich und intersektional relevante Gesundheitsthemen von spezifischen Bevölkerungsgruppen benennen können.
II. Diskriminierungssensible Themenauswahl
1. Um Diskriminierung zu vermeiden, sollten zivilgesellschaftliche Akteur*innen bereits im Vorfeld der Berichterstattung über spezifische soziale Gruppen konsultiert werden.
2. Das Ziel der Berichterstattung sollte transparent gemacht werden, damit deutlich wird, warum über das Thema bzw. die gesellschaftliche Gruppe berichtet wird.
3. Auch bei schlechter Datenlage sollte über wichtige Gesundheitsthemen besonders benachteiligter Bevölkerungsgruppen berichtet werden.
(siehe auch Empfehlungen zu Diskriminierungssensible Sprache und verantwortungsbewusste Kommunikation in Gesundheitsberichten)
Die hier formulierten Herausforderungen und Empfehlungen für die Themenwahl für eine geschlechtersensible und intersektionale Gesundheitsberichterstattung gründen auf dem wissenschaftlichen Diskussionsstand um geschlechtersensible und intersektionale Forschung und Berichterstattung, auf Recherchen und Reviews. Darüber hinaus wurde die Expertise von Wissenschaftler:innen, Gesundheitsberichterstatter:innen und Vertreter:innen der Zivilgesellschaft strukturiert einbezogen. In einer Delphi-Befragung zeigte sich große Zustimmung zu den entwickelten Empfehlungen. Für den Bereich „Wege der Themenwahl für die geschlechtersensible und intersektionale Gesundheitsberichterstattung“ wurden darüber hinaus wichtige Hinweise gegeben, die bei einer Umsetzung berücksichtigt werden sollten.
So wurde darauf hingewiesen, dass über die Ableitung der Themenauswahl aus der wissenschaftlichen Literatur hinaus auch weitere Quellen herangezogen werden sollten. Auch wurde die Umsetzung der Empfehlung, dass geschlechterrelevante Gesundheitsthemen literaturbasiert auf Intersektionen mit anderen Differenzkategorien analysiert werden sollten, eher skeptisch gesehen.
Zur Einbeziehung zivilgesellschaftlicher Akteur:innen wurde einerseits auf das innovative Potenzial (auch in Kombination mit einer literaturbasierten Themenauswahl) hingewiesen und auf die Vorreiter:innenrolle einer genderbezogenen GBE. Andererseits wurden die Gefahr von Interessenkonflikten und mögliche Schwierigkeiten bei der Auswahl geeigneter Personen benannt. Diese Schwierigkeit wurde auch bei der Einbindung zivilgesellschaftlicher Akteur*innen bereits im Vorfeld der Berichterstattung gesehen; hier wurde auch auf Barrierefreiheit und benötigte Ressourcen hingewiesen und die Definition von „Marginalisierung“ thematisiert.
Schließlich gab es viel Zustimmung zu der Empfehlung, dass auch bei schlechter Datenlage über wichtige Gesundheitsthemen besonders benachteiligter Bevölkerungsgruppen berichtet werden sollte. Vor allem wurde festgestellt, dass es wichtig sei, Datenlücken zu benennen und entsprechende Forschungsaktivitäten anzuregen.
Autor:innen:
Kathleen Pöge, Alexander Rommel, Sarah Strasser, Anke-Christine Saß, Franziska Prütz, Anne Starker (Robert Koch-Institut) im Namen des Verbundprojektes AdvanceGender
Zitiervorschlag: Pöge K, Rommel A, Strasser S, Saß AC, Prütz F, Starker A. Wege der Themenauswahl für die geschlechtersensible und intersektionale Gesundheitsberichterstattung. In: AdvanceGender Study Group (Hrsg.). Optionen für eine geschlechtersensible und intersektionalitäts-informierte Forschung und Gesundheitsberichterstattung; 2022. (www.advancegender.info)
Version: 1.0 (Datum: 24.01.2022)