Die Darstellung von geschlechterbezogenen gesundheitlichen Problemlagen stellt eine Herausforderung dar, weil mit der Rahmung von Ergebnissen (engl. framing) und der Verwendung sprachlicher Bilder implizit Geschlechterstereotype sowie Wertungen von gesellschaftlichen Gruppen und Lebensweisen verbunden sein können. Zudem können sich Menschen diskriminiert fühlen, wenn Selbstbezeichnungen von gesellschaftlichen Gruppen (z. B. People of Color) nicht verwendet werden. Diese sind jedoch nicht immer gesamtgesellschaftlich etabliert und teilweise innerhalb der jeweiligen Communities umstritten (z. B. trans:, transident, transsexuell oder queer). Eine weitere Herausforderung kann in einem politisch motivierten Missbrauch von Informationen über die Gesundheit einzelner sozialer Gruppen in diskriminierender Absicht liegen.
Ein bewusster Umgang mit Begriffen und Formulierungen kann in Gesundheitsberichten dabei helfen, Missverständnissen vorzubeugen und das Risiko minimieren, dass Aussagen als diskriminierend oder stigmatisierend wahrgenommen werden. Folgende Herausforderungen und Empfehlungen für eine diskriminierungssensible Sprache in Gesundheitsberichten und eine verantwortungsvolle Kommunikation von Berichtsinhalten wurden im Projekt AdvanceGender erarbeitet.
I. Wertung, Verwendung von sprachlichen Bildern und Rahmung der Ergebnisse (Framing)
1. Bestehende Leitlinien und Empfehlungen für geschlechter- und diversitätssensible Sprache sollten recherchiert und diskutiert werden, um sie anwenden zu können.
2. Die Darstellung von Ergebnissen wie auch die Bewertung der gesundheitlichen Lage von (Geschlechter-)Gruppen sollte auf ihr Diskriminierungspotenzial geprüft und ggf. angepasst werden.
3. Sprachliche Bilder sollten auf geschlechterstereotype Vorstellungen geprüft und im Zweifelsfall nicht verwendet werden.
4. Es sollte nicht ausschließlich defizitorientiert berichtet werden, sondern auch gesundheitliche Ressourcen der betrachteten Gruppen hervorgehoben werden.
5. Eine abschließende Qualitätssicherung durch ein 4-Augen-Prinzip, oder die Einbindung externer Expertise, sollte auch implizite Wertungen im Bericht auffinden und beheben.
II. Umgang mit Selbstbezeichnungen von gesellschaftlichen Gruppen
1. Glossare oder Info-Boxen sollten Selbstbezeichnungen von gesellschaftlichen Gruppen (z.B. LSBTI, People of Colour) einführen und erklären.
2. Besteht innerhalb von Communities kein Konsens, sollten unterschiedliche Selbstbezeichnungen genannt und der im Bericht verwendete Begriff begründet werden. Dabei sollte kein Anspruch auf Allgemeingültigkeit formuliert werden.
III. Gefahr des politisch motivierten Missbrauchs von Informationen, insbesondere bei gesellschaftlich marginalisierten Gruppen
1. Ergebnisse sollten eingeordnet werden, um politisch motiviertem Missbrauch möglichst vorzubeugen (z. B. geflüchtete Menschen als Überträger:innen von Infektionen).
2. Verwendete Formulierungen sollten auf die Gefahr politisch motivierten Missbrauchs geprüft und ggf. angepasst werden.
Die hier formulierten Herausforderungen und Empfehlungen für diskriminierungssensible Sprache und verantwortungsbewusste Kommunikation gründen auf dem wissenschaftlichen Diskussionsstand um geschlechtersensible und intersektionale Forschung und Berichterstattung, auf Recherchen und Reviews. Darüber hinaus wurde die Expertise von Wissenschaftler:innen, Gesundheitsberichterstatter:innen und Vertreter:innen der Zivilgesellschaft strukturiert einbezogen. In einer Delphi-Befragung zeigte sich große Zustimmung zu den entwickelten Empfehlungen. Für den Bereich „Diskriminierungssensible Sprache und verantwortungsbewusste Kommunikation in Gesundheitsberichten“ wurden darüber hinaus wichtige Hinweise gegeben, die bei einer Umsetzung berücksichtigt werden sollten.
Zum einen wurde darauf verwiesen, dass die Berücksichtigung von Selbstbezeichnungen zwar wichtig ist, aber nicht für jedes GBE-Format relevant sein muss. Wenn sich Gesundheitsberichte mit sozialen Gruppen, wie lesbischen, schwulen, bisexuellen oder trans- bzw. intergeschlechtlichen Personen oder mit Menschen, die sich nicht der weißen Mehrheitsgesellschaft zurechnen, befassen, sollten sie sich dieser Begriffe bewusst bedienen und sie allgemeinverständlich einführen.
Zum zweiten wurden Schwierigkeiten bei der Identifizierung von Diskriminierungspotenzial in Formulierungen gesehen, da es schwierig ist, in solchen Fragen immer Einigkeit zu erzielen. Das Vorgehen sollte systematisch stattfinden und möglichst transparent gemacht werden.
Zum dritten ist es schwierig, politischen Missbrauch gänzlich auszuschließen. Im Rahmen der Berichterstattung über soziale Gruppen sollte die GBE aber eine ausgewogene evidenzbasierte Einordnung der Befunde anbieten, um damit einer tendenziösen Verwertung ihrer Ergebnisse möglichst entgegenzuwirken.
Schlussendlich fand die Empfehlung großen Anklang, neben Defiziten und Risiken auch über die Ressourcen sozialer Gruppen zu berichten. Dies, so wurde empfohlen, könne auch dadurch geschehen, dass nicht nur epidemiologische Unterschiede, sondern auch Ähnlichkeiten berichtet würden. Es wurde angemerkt, dass sich Defizite in Politik und Praxis besser in Handlungsbedarf ummünzen ließen. Um dies auszutarieren sollte der Fokus der Handlungsorientierung in Gesundheitsberichten neben den Zielen der Risikominderung stärker auf konkrete Ansätze der Ressourcenförderung gerichtet werden.
Autor:innen:
Kathleen Pöge, Alexander Rommel, Sarah Strasser, Anke-Christine Saß, Franziska Prütz, Anne Starker (Robert Koch-Institut) im Namen des Verbundprojektes AdvanceGender
Zitiervorschlag: Pöge K, Rommel A, Strasser S, Saß AC, Prütz F, Starker A. Diskriminierungssensible Sprache und verantwortungsbewusste Kommunikation in Gesundheitsberichten. In: AdvanceGender Study Group (Hrsg.). Optionen für eine geschlechtersensible und intersektionalitäts-informierte Forschung und Gesundheitsberichterstattung; 2022. (www.advancegender.info)
Version: 1.0 (Datum: 24.01.2022)