Im Sinne des Public-Health-Action-Cycle kann die Gesundheitsberichterstattung neben der Ergebnisdarstellung und Interpretation gesundheitspolitischen Handlungsbedarf identifizieren und daraus Handlungsempfehlungen ableiten. Dies erleichtert es, gezielt Projekte und Maßnahmen im Rahmen von Gesundheitsförderung, Prävention und Versorgung zu entwickeln und durchzuführen, die einer geschlechterbezogenen Ungleichheit entgegenwirken.
Angesichts von Daten- und Forschungslücken zu einzelnen Bevölkerungsgruppen bzw. zu bestimmten Themenfeldern ist die Ableitung von Handlungsempfehlungen eine Herausforderung. Transparenz bei der Festlegung von Handlungsempfehlungen, die Einbeziehung externer Expertise sowie eine Rückkopplung mit der Politik bzw. Öffentlichkeit können dabei helfen, dieser Herausforderung zu begegnen, sie stellen aber eigene Anforderungen an die Umsetzung.
Folgende Empfehlungen wurden für die Herausforderungen bei der Formulierung praxisrelevanter Handlungsempfehlungen im Projekt AdvanceGender erarbeitet.
I. Handlungsempfehlungen festlegen
1. Der Entstehungshintergrund eines Gesundheitsberichts (z. B. eigeninitiativ oder im Auftrag der Politik) kann Handlungsempfehlungen beeinflussen und sollte daher kommuniziert werden.
2. Es sollte begründet werden, welche geschlechtlichen und intersektionalen Ungleichheiten die Empfehlungen adressieren und wo möglicherweise Datenlücken bestehen.
3. Empfehlungen sollten begründet und der Entscheidungsprozess transparent gemacht werden.
4. Bereits bestehende Handlungsempfehlungen für mehr geschlechtliche und intersektionale Chancengleichheit (z. B. Gesundheitsziele) sollten auf der Grundlage empirischer Ergebnisse geprüft und ggf. ergänzt werden.
II. Externe Expertise einbeziehen
1. Externe Expert:innen und relevante Stakeholder können Handlungsempfehlungen daraufhin bewerten, ob sie in geschlechtlicher und intersektionaler Hinsicht ausreichend differenzieren.
2. Externe Expert:innen und relevante Stakeholder können eigene Handlungsempfehlungen formulieren, die in den Gesundheitsbericht integriert und als solche kenntlich gemacht werden.
III. Rückkopplung mit der Politik und Öffentlichkeit
1. Die Veröffentlichung des Gesundheitsberichts und damit verbundene Empfehlungen sollten durch eine entsprechende Öffentlichkeitsarbeit flankiert werden.
2. Die Öffentlichkeitsarbeit sollte über unidirektionale Formate (z.B. Pressemeldungen) hinaus auch dialogisch vorgehen, indem Handlungsempfehlungen mit relevanten Stakeholdern (z.B. Community, zivilgesellschaftliche Akteur:innen, Politiker:innen) in Bezug auf ihre Relevanz und Umsetzbarkeit hin diskutiert werden.
3. Für dialogische Kommunikationsformen können öffentliche (z.B. gesundheitspolitische Stunden, Vorträge und Diskussionsrunden) und ergänzend geschlossene Veranstaltungen (z.B. Briefings) organisiert werden.
Die hier formulierten Herausforderungen und Empfehlungen für die Entwicklung praxisrelevanter Handlungsempfehlungen für gesundheitliche Chancengleichheit gründen auf dem wissenschaftlichen Diskussionsstand um geschlechtersensible und intersektionale Forschung und Berichterstattung, auf Recherchen und Reviews. Darüber hinaus wurde die Expertise von Wissenschaftler:innen, Gesundheitsberichterstatter:innen und Vertreter:innen der Zivilgesellschaft strukturiert einbezogen. In einer Delphi-Befragung zeigte sich große Zustimmung zu den entwickelten Empfehlungen. Für den Bereich „Praxisrelevante Handlungsempfehlungen für gesundheitliche Chancengleichheit“ wurden darüber hinaus wichtige Hinweise gegeben, die bei einer Umsetzung berücksichtigt werden sollten.
Handlungsempfehlungen sollten auf Grundlage der Ergebnisse formuliert werden. Einige Expert:innen sprachen sich dafür aus, dass sie fester Bestandteil der GBE sein sollten. Da die Auftraggeber:innen der GBE oftmals zugleich Adressat:innen sind, sollte die Möglichkeit der Beeinflussung von Inhalten diskutiert werden. Transparenz bei der Festlegung der Handlungsempfehlungen kann helfen, dem zu begegnen.
Um Handlungsempfehlungen zu konkretisieren, können externe Expert:innen einbezogen werden. Allerdings ist zu prüfen, wer dafür in Frage kommt und welche Ressourcen für diesen Prozess zur Verfügung stehen. Es wurde darauf hingewiesen, dass die Gefahr bestehen könnte, Partikularinteressen zu viel Raum einzuräumen. Besser könne es möglicherweise sein, Konsens mit externen Expert:innen herzustellen. Dies könnte durch eine frühzeitige Beteiligung am Berichterstattungsprozess unterstützt werden.
Die Empfehlungen für die verstärkte Kommunikation mit Politik und Öffentlichkeit wurden grundsätzlich begrüßt, allerdings wird auf die dafür zusätzlichen Ressourcen hingewiesen, vor allem für neue Formate wie z. B. dialogische Kommunikationsformen.
Die Expert:innen verwiesen an mehreren Stellen darauf, dass die Empfehlungen sinnvoll und grundsätzlich umsetzbar sind, aber entsprechend qualifiziertes und kontinuierlich am Prozess beteiligtes Personal und Ressourcen erfordern.
Autor:innen:
Kathleen Pöge, Alexander Rommel, Sarah Strasser, Anke-Christine Saß, Franziska Prütz, Anne Starker (Robert Koch-Institut) im Namen des Verbundprojektes AdvanceGender
Zitiervorschlag: Pöge K, Rommel A, Strasser S, Saß AC, Prütz F, Starker A. Praxisrelevante Handlungsempfehlungen für gesundheitliche Chancengleichheit. In: AdvanceGender Study Group (Hrsg.). Optionen für eine geschlechtersensible und intersektionalitäts-informierte Forschung und Gesundheitsberichterstattung; 2022. (www.advancegender.info)
Version: 1.0 (Datum: 24.01.2022)