Primäres Ziel der Stratifizierung anhand eines Intersektionalen Geschlechterscores ist die Bildung von Subgruppen mit vergleichbaren intersektionalen Profilen bezüglich unterschiedlicher Differenzkategorien. Dadurch wird es möglich, herauszufinden, ob verschiedene Geschlechter (z.B. die Gruppen Frauen und Männer, wie häufig in der Gesundheitsberichterstattung untersucht) mit vergleichbaren intersektionalen Profilen dieselben Häufigkeiten von Erkrankungen oder anderen untersuchten Gesundheitszielgrößen aufweisen. Zeigen sich innerhalb der Subgruppen der intersektionalen Profile Unterschiede zwischen Männern und Frauen, kann das als Hinweis gedeutet werden, dass die Gesundheitsunterschiede unabhängig von den intersektionalen Profilen sind und somit auf weitere mit Geschlecht verbundene Aspekte zurückzuführen sind.
Die Stratifizierung nach einem Intersektionalen Geschlechterscore eignet sich vor allem für geschlechtervergleichende Analysen. Durch das Verfahren werden auf Basis des Scores mehrere Subgruppen gebildet, die durch unterschiedliche intersektionale Profile charakterisiert sind. Sofern Männer und Frauen sich hinsichtlich der Differenzkategorien, die zur Berechnung des Scores herangezogen werden, unterscheiden, wird das statistische Verfahren dazu führen, dass die Anteile von Männern und Frauen in den Subgruppen unterschiedlich sind: Zum Beispiel befinden sich dann in der ersten Subgruppe die meisten Männer, in der letzten Subgruppe die meisten Frauen. Innerhalb der einzelnen Subgruppen weisen Frauen und Männer jeweils ein vergleichbares Profil bezüglich der intersektionalen Ausprägung unterschiedlicher Differenzkategorien auf. Das bedeutet, dass innerhalb jeder Subgruppe die Anteile von Personen, die beispielsweise in Teilzeit arbeiten, in Elternzeit sind oder einen Arbeiter:innenstatus aufweisen, jeweils bei Männern und bei Frauen vergleichbar sind. Die Prävalenz unterschiedlicher Gesundheitszielgrößen kann zwischen Frauen und Männern innerhalb einer Subgruppe eines intersektionalen Profils und zwischen den Subgruppen verglichen werden. Werden zwischen den Geschlechtern unterschiedliche Prävalenzen festgestellt, können diese vor dem Hintergrund des charakteristischen intersektionalen Profils der entsprechenden Subgruppe interpretiert werden.
Das Verfahren ermöglicht eine deskriptive, geschlechtervergleichende Analyse der Prävalenz von gesundheitsbezogenen Zielgrößen in Gruppen von Frauen und Männern, die im Hinblick auf eine Vielzahl von berücksichtigten Differenzkategorien wie beispielsweise Alter, Bildung und Beschäftigungsstatus vergleichbar sind. Während bei anderen multivariablen Verfahren wie beispielsweise bei klassischen adjustierten Regressionsanalysen eine hohe Anzahl an Differenzkategorien, die zur Adjustierung herangezogen werden, zu einer Überadjustierung führen können, stellt die Berücksichtigung von vielen Differenzkategorien für die Berechnung eines Intersektionalen Geschlechterscores zur Bildung von Subgruppen mit vergleichbaren intersektionalen Profilen kein Hindernis dar.
Die Ergebnisse können ggf. bestehende gesundheitliche Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern auf Basis von Differenzkategorien aufdecken und im Zusammenhang mit den Differenzkategorien, welche besonders charakteristisch für die jeweilige Subklasse sind, interpretiert werden. Es ist zu beachten, dass die Methode nicht darauf ausgelegt ist, die Subgruppen mit den höchsten Prävalenzen einer gesundheitsbezogenen Zielgröße zu identifizieren, um Interventionsbedarfe ableiten zu können.
Entsprechend kann auch die Interpretation auf Basis der gebildeten Subgruppen anspruchsvoll sein, da es sich um intersektionale Zusammenhänge auf Gruppenebene handelt, welche durch die unterschiedlichen Ausprägungen von Differenzkategorien innerhalb der Subgruppen konstituiert werden.
Autor:innen:
Emily Mena, Gabriele Bolte (Universität Bremen, Institut für Public Health und Pflegeforschung, Abteilung Sozialepidemiologie) im Namen des Verbundprojektes AdvanceGender
Zitiervorschlag: Mena E, Bolte G. Geschlechtersensible Identifikation von intersektionalen Subgruppen mit Klassifikationsbäumen. In: AdvanceGender Study Group (Hrsg.). Optionen für eine geschlechtersensible und intersektionalitäts-informierte Forschung und Gesundheitsberichterstattung; 2022. (www.advancegender.info)
Version: 1.0 (Datum: 05.04.2022)