AdvanceGender
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Möglichkeiten zur Berücksichtigung von Geschlecht und geschlechtlicher Vielfalt in den Berichtsformaten der GBE
Hintergrund

Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten, wie Geschlecht und geschlechtliche Vielfalt in den Berichtsformaten der Gesundheitsberichterstattung berücksichtigt werden können: Mainstreaming, Fokuskapitel in umfassenden Gesundheitsberichten oder Fokusberichte zu Geschlecht. Mit den verschiedenen Möglichkeiten sind unterschiedliche Stärken und Schwächen verbunden. Bei der Vorbereitung eines Berichtes sollten Gesundheitsberichterstattende über die Vor- und Nachteile der verschiedenen Formate diskutieren, um sich informiert für eine Möglichkeit zu entscheiden. Die hier zusammengestellte Liste der Stärken und Schwächen der verschiedenen Formate wurde im Projekt AdvanceGender erarbeitet. Sie kann Gesundheitsberichterstattende bei der Auswahl unterstützen. Außerdem können ggf. Vor- und Nachteile des gewählten Formates im Bericht benannt werden.

Herausforderungen und Optionen

I. Mainstreaming von Geschlecht

Geschlecht ist eine Querschnittskategorie im gesamten Bericht. Zu jedem Thema wird nach Geschlecht getrennt berichtet (z. B. Gesundheit in Deutschland 2015).

Stärken

1. Für die ausgewählten Themen können Geschlechterunterschiede anschaulich dargestellt werden.

2. Für die ausgewählten Themen können Geschlechterunterschiede im Zusammenspiel mit anderen Differenzkategorien dargestellt werden (z. B. Unterschiede in der Lebenserwartung von Frauen und Männern in Abhängigkeit vom Sozialstatus).

3. Themenbezogene Forschungslücken zu geschlechtlichen Ungleichheiten können differenziert offengelegt werden.

4. Es findet keine Besonderung (engl. Othering) und potenzielle Stigmatisierung von Geschlechtergruppen (z. B. Migrantinnen) in einem eigenen Berichtskapitel statt.

Schwächen

1. Die Umsetzung erfolgt häufig über einen einfachen Vergleich zwischen Frauen und Männern. Die Heterogenität innerhalb der Geschlechtergruppen und die geschlechtliche Vielfalt werden tendenziell vernachlässigt.

2. Das Format bietet wenig Raum, um Ergebnisse theoretisch und empirisch fundiert einzuordnen.

II. Fokuskapitel zu Geschlecht in einem umfassenden Bericht

In einem größeren Bericht wird in einem Kapitel vertiefend auf geschlechterbezogene Unterschiede oder eine bestimmte Geschlechtergruppe (z. B. Frauen mit Migrationshintergrund oder trans: und inter: Menschen eingegangen.

Stärken

1. Die gesundheitliche Lage einer Geschlechtergruppe oder geschlechterbezogene Unterschiede werden über ein Fokuskapitel besonders sichtbar.

2. Geschlechterbezogene Problemlagen und Rahmenbedingungen können vertieft dargestellt werden (z. B. Arbeitsmarktsegregation und damit einhergehende Gesundheitsrisiken und -chancen).

3. In themenbezogenen Fokuskapiteln können die Ergebnisse durch den Bezug zum umfassenden Bericht leichter eingeordnet und interpretiert werden (z. B. geflüchtete Frauen in einem Bericht zur psychischen Gesundheit).

Schwächen

1. Es besteht die Gefahr der Besonderung (engl. Othering) einer bestimmten Gruppe und damit der Darstellung als abweichend vom Allgemeinen.

2. Es besteht die Gefahr der Stigmatisierung einer gesellschaftlichen Gruppe durch Fokus auf ihre gesundheitlichen Problemlagen.

3. Geschlechterbezogene Aspekte außerhalb des Fokuskapitels werden im Gesamtbericht vernachlässigt.

4. In thematisch breiten Berichten gibt es oftmals wenig Raum, um Einzelbefunde theoretisch und empirisch fundiert einzuordnen.

III. Fokusbericht zu Geschlecht

Geschlecht allgemein oder eine Geschlechtergruppe bilden den zentralen Berichtsfokus (z. B. Gender-GesundheitsberichtMännergesundheitsbericht, Trans: -Gesundheitsbericht).

Stärken

1. Die gesundheitliche Lage einer Geschlechtergruppe oder geschlechterbezogene Unterschiede werden in einem Fokusbericht besonders sichtbar.

2. Geschlechterbezogene Problemlagen und Rahmenbedingungen können vertieft dargestellt werden (z. B. Arbeitsmarktsegregation und damit einhergehende Gesundheitsrisiken und -chancen).

3. Es gibt ausreichend Raum für eine theoretisch und empirisch fundierte Einordnung der Ergebnisse.

Schwächen

1. Die Erstellung eines Fokusberichts ist ressourcenintensiv, da meist gesonderte Recherchen und Auswertungen notwendig sind.

2. Es besteht die Gefahr der Besonderung (engl. Othering) und damit potenzielle Darstellung als abweichend vom Allgemeinen.

3. Es besteht die Gefahr der Stigmatisierung einer gesellschaftlichen Gruppe durch Fokus auf ihre gesundheitlichen Problemlagen.

Schlussfolgerungen

Die hier formulierten Herausforderungen und Empfehlungen für die Wahl geeigneter Berichtsformate zur Berücksichtigung von Geschlecht und geschlechtlicher Vielfalt in der GBE gründen auf dem wissenschaftlichen Diskussionsstand um geschlechtersensible und intersektionale Forschung und Berichterstattung, auf Recherchen, Reviews und der strukturierten Einbindung der Expertise von Wissenschaftler:innen, Gesundheitsberichterstatter:innen und Vertreter:innen der Zivilgesellschaft. In einer Delphi-Befragung zeigte sich eine große Zustimmung zu den entwickelten Empfehlungen.

Im Abschnitt „Möglichkeiten zur Berücksichtigung von Geschlecht und geschlechtlicher Vielfalt in den Berichtsformaten der GBE“ erhielt das Format Fokusbericht insgesamt die höchste Zustimmung, wenn es um die adäquate Abbildung von Geschlecht und geschlechtlicher Vielfalt in der GBE geht. Bei diesem Format wurden die Stärken mehrheitlich als besonders wichtig und viele Schwächen als eher unwichtig beurteilt.

Hingewiesen wurde aber auch darauf, dass die formulierten Stärken und Schwächen der drei Formate nicht unabänderlich sind. Viele Schwachpunkte können beispielsweise durch eine bewusste Reflexion und ein entsprechendes Vorgehen bei der Berichtskonzeption und -erstellung aufgefangen werden. Anders herum „schützt“ die Wahl eines vermeintlich besonders geeigneten Formates nicht davor, dass der Bericht am Ende z. B. inhaltlich an der Oberfläche bleibt oder von einigen Leser:innen als stigmatisierend empfunden wird.

Stärken wie auch Schwächen der Formate können reflektiert werden und man kann ihnen begegnen. Besonders häufig wurde auf diese Möglichkeit bei den Schwächen der Berichtsformate hingewiesen, z. B. wurde als veränderbar angesehen, dass es bei Berichten, in denen Geschlecht eine Querschnittskategorie ist (Mainstreaming), oftmals wenig Raum gibt, um die Befunde einzuordnen.

Ebenso äußerten sich die Expert:innen kritisch zu der Einschätzung, dass die Fokussierung auf ein Geschlecht oder eine andere spezielle Gruppe, z. B. Frauen mit Fluchterfahrung, zwangsläufig zu einer Besonderung (engl. Othering) oder Stigmatisierung führt.

Eine weitere Rückmeldung zu den Empfehlungen für die Auswahl eines geeigneten Formats war der Hinweis auf unterschiedliche Rahmenbedingungen der GBE auf den verschiedenen Berichtsebenen Bund, Land, Kommune. So wurde für die kommunale Ebene angemerkt, dass die Daten oftmals wenig differenziert vorliegen und auch die Benennung von Forschungslücken eine untergeordnete Rolle spielt. Dadurch sind bestimmte Kriterien für die Entscheidung über ein Format hier von größerer Bedeutung, andere weniger wichtig.

Insgesamt kann aus den Rückmeldungen der Expert:innen geschlussfolgert werden, dass anspruchsvolle und überzeugende Berichterstattung zu Geschlecht und Gesundheit in verschiedenen Berichtsformaten möglich ist, mit einem leichten Vorteil der Fokusberichte. Manche Befragten haben die Erfahrung gemacht, dass Berichtsformate öfter durch äußere Rahmenbedingungen (z. B. Vorgaben der Politik, Ressourcen, Tradition etc.) reglementiert sind, dann aber kreativ ausgefüllt werden können. In jedem Fall gilt es, die Stärken und Schwächen des gewählten Formates bewusst zu reflektieren, um die Stärken im Bericht wirken zu lassen und den Schwächen soweit wie möglich zu begegnen.

Autor:innen:

Kathleen Pöge, Alexander Rommel, Sarah Strasser, Anke-Christine Saß, Franziska Prütz, Anne Starker (Robert Koch-Institut) im Namen des Verbundprojektes AdvanceGender

Zitiervorschlag: Pöge K, Rommel A, Strasser S, Saß AC, Prütz F, Starker A. Möglichkeiten zur Berücksichtigung von Geschlecht und geschlechtlicher Vielfalt in der GBE. In: AdvanceGender Study Group (Hrsg.). Optionen für eine geschlechtersensible und intersektionalitäts-informierte Forschung und Gesundheitsberichterstattung; 2022. (www.advancegender.info)

Version: 1.0 (Datum: 24.01.2022)